„Sie hat sich stets bemüht.“ Als Frau K. ihr qualifiziertes Arbeitszeugnis liest, ist sie zunächst erleichtert: keine Rechtschreibfehler, keine sachlichen Patzer, freundlicher Ton. Das sieht vielversprechend aus. Doch dann bleibt sie an einzelnen Formulierungen hängen. „Ihre Aufgaben erledigte sie mit Interesse und Einsatzbereitschaft.“ Klingt gut … oder?
Ihre Bekannte aus dem Personalbereich runzelt die Stirn, als Frau K. ihr dieses Zeugnis vorlegt. „Das ist eher eine Drei minus“, erklärt sie. „Und was steht im Schlusssatz?“ Frau K. liest vor: „Wir danken ihr für die Zusammenarbeit und wünschen ihr für die Zukunft alles Gute.“ Keine Rede von Bedauern über das Ausscheiden. Keine guten Wünsche für beruflichen Erfolg. „Autsch!“, kommentiert die Bekannte.
Szenen wie diese sind keine Seltenheit – denn die Sprache der Arbeitszeugnisse in Deutschland ist alles andere als klar und deutlich. Was dahinter steckt? Die Personalexperten von SEMINAR-INSTITUT zeigen es Ihnen. In diesem Beitrag erfahren Sie, warum Arbeitszeugnisse oft nicht sagen, was sie meinen – und wie Sie typische Formulierungen richtig lesen und selbst souverän einsetzen.
Einfach oder qualifiziert? Diesen Arten von Arbeitszeugnissen gibt es
In Deutschland haben Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich Anspruch auf ein schriftliches Arbeitszeugnis. Dieses Zeugnis dient nicht nur als Nachweis über Dauer und Art der Beschäftigung, sondern ist oft auch das zentrale Dokument bei Bewerbungen – für viele Personaler noch wichtiger als Anschreiben oder Lebenslauf. Daher ist es wichtig, welche Form des Zeugnisses ausgestellt wird.
Grundsätzlich wird zwischen dem einfachen und dem qualifizierten Arbeitszeugnis unterschieden. Ein einfaches Arbeitszeugnis enthält lediglich Angaben zur Person, zur Dauer und zur Art der Tätigkeit – also eine reine Tätigkeitsbeschreibung ohne Wertung. Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis hingegen bewertet zusätzlich Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers im Unternehmen. Es ist diese zweite Variante, die in der Praxis meist verlangt und erwartet wird.
Was jedoch viele nicht wissen: Man erhält nicht automatisch das qualifizierte Zeugnis. Manche Arbeitnehmer müssen es daher explizit einfordern. Und wer keins hat, kann bei künftigen Bewerbungen schnell ins Hintertreffen geraten – denn vielen Personalverantwortlichen gilt das einfache Zeugnis als unvollständig oder gar als Warnsignal, weil es eben nichts darüber verrät, wie Person und Leistung eines Bewerbers in früheren Arbeitsverhältnissen eingeschätzt wurden.
Warum Arbeitszeugnisse nicht sagen, was sie meinen
Wer ein qualifiziertes Zeugnis liest, wird schnell feststellen: Auf den ersten Blick klingen fast alle Aussagen positiv. Das liegt nicht an der gebotenen Höflichkeit, sondern hat handfeste juristische Gründe. Arbeitgeber in Deutschland unterliegen nämlich einer sogenannten Wohlwollenspflicht. Konkret heißt das: Sie müssen ein Zeugnis erstellen, das dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers nicht entgegensteht. Gleichzeitig soll das Zeugnis aber auch der Wahrheit entsprechen. Daraus ergibt sich eine Spannung, aus der ein ganz eigener ‚Zeugniscode‘ entstanden ist.
Der rechtliche Rahmen: Wohlwollenspflicht im Arbeitszeugnis
Rechtlich ist geregelt, dass das Arbeitszeugnis ‚wohlwollend und wahrheitsgemäß‘ sein muss. Eine durchschnittliche Bewertung in einem deutschen Arbeitszeugnis entspricht daher der Schulnote Drei. Alles darunter muss vom Arbeitgeber begründet werden können. Laut einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (9 AZR 584/13)[1] hat ein Arbeitnehmer allerdings auch keinen Anspruch auf eine Bewertung, die der Schulnote Eins entspricht – es sei denn, er kann diese außergewöhnliche Leistung auch nachweisen.
Weil es vor diesem Hintergrund schwierig ist, negative Bewertungen rechtssicher zu formulieren, entstand in der Personalpraxis ein ausdifferenzierter Katalog an Formulierungen, die bestimmte Leistungen und Eigenschaften umschreiben, ohne dabei explizit negativ zu wirken. Was nach Lob klingt, ist daher oft nur lauwarme Zustimmung. Und was in einem qualifizierten Arbeitszeugnis ganz weggelassen wird, spricht oft Bände.
Den Code im Arbeitszeugnis richtig lesen: So geht’s!
Gerade weil Formulierungen im Arbeitszeugnis auf den ersten Blick harmlos oder gar positiv erscheinen, ist es wichtig, genau hinzusehen. Bei Detailfragen empfiehlt es sich auf jeden Fall, einen Experten zu konsultieren, denn in der Praxis gibt es so viele Formulierungsnuancen, dass sich Arbeitszeugnisse nur mit dem entsprechenden Fachwissen richtig deuten lassen.
Einige grundlegende Prinzipien helfen jedoch dabei, potenziell kritische Passagen als solche zu erkennen. So bedeutet zum Beispiel „stets zur vollsten Zufriedenheit“ in der Regel eine sehr gute Bewertung, wohingegen die Formulierung „zur Zufriedenheit“ bereits als unterdurchschnittlich gelesen wird. Den Unterschied macht hier die Steigerung: Dreifach – also „stets“, „volle Zufriedenheit“ und die auch noch gesteigert zur „vollsten Zufriedenheit“ – bedeutet eine Eins. Auch Steigerungen innerhalb eines Satzes deuten auf eine überdurchschnittliche Leistung hin, z.B. „stets sehr engagiert und jederzeit bereit, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen.“ Fehlen solche Steigerungen, ist das oft kein Zufall.
Besondere Aufmerksamkeit verdient außerdem der Schlusssatz eines Arbeitszeugnisses. Wird dort etwa „viel Erfolg im weiteren Berufsleben“ gewünscht und gleichzeitig ein „Bedauern über das Ausscheiden“ zum Ausdruck gebracht, ist das ein Zeichen für echte Wertschätzung. Fehlen diese Elemente teilweise oder gänzlich, kann das ein Hinweis auf Distanz oder Unzufriedenheit sein. Tatsächlich schauen aus diesem Grund viele Experten aus den Human Resources ganz besonders auf den letzten Satz, um sich einen ersten Eindruck von einem Bewerber zu verschaffen.
Vorsicht ist außerdem bei speziellen Formulierungen geboten, die zwar juristisch wasserdicht, inhaltlich jedoch brisant sein können. Ist etwa von Versuchen und Bemühungen statt von Können und Erfolgen die Rede, kann auch das zu Ungunsten des Bewerbers gelesen werden. Eine Aussage wie „er zeigte Verständnis für die ihm übertragenen Aufgaben“ bedeutet im Klartext etwa: Er hat sich bemüht, es aber nicht geschafft. Und „er war bemüht, den Anforderungen gerecht zu werden“ ist ein verklausuliertes „es hat leider nicht gereicht“.
Arbeitszeugnisse souverän lesen und verfassen – mit SEMINAR-INSTITUT
Deutsche Arbeitszeugnisse sind weit komplexer als sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. Wer mit ihnen arbeitet – sei es als Führungskraft, Assistent oder HR-Verantwortlicher –, muss den Arbeitgeber-Code sicher beherrschen. Sonst kann schließlich auch ein gut gemeinter Satz unbeabsichtigt negative Signale senden. Die Experten von SEMINAR-INSTITUT vermitteln Ihnen das nötige Know-how, um Arbeitszeugnisse rechtssicher, wohlwollend und zugleich aussagekräftig zu formulieren.
In unserem Seminar „Arbeitszeugnisse“ lernen Sie, typische Formulierungen zu analysieren, rechtliche Fallstricke zu umgehen und differenzierte Leistungsbeurteilungen schriftlich festzuhalten. Diese Weiterbildung zum Thema Arbeitszeugnisse richtet sich zum einen an Fach- und Führungskräfte, die regelmäßig mit Zeugnissen arbeiten – sei es beim Verfassen oder beim Interpretieren. Zum anderen können Sie das Seminar aber auch nutzen, um als Arbeitnehmer den souveränen Umgang mit dem Zeugniscode zu trainieren. Denn wer sein Arbeitszeugnis richtig lesen kann, weiß, wo er steht – und kann bei Bedarf souverän nachverhandeln.
Allen Arbeitnehmern, die sich als Mitglieder des Betriebsrats oder als Ausbilder engagieren und in dieser Rolle auch mit Fragen zum Thema Arbeitszeugnisse konfrontiert werden, dürfen wir außerdem das Seminar „Rechtliches Wissen als Betriebsrat“ bzw. das Seminar „Erfolgreich ausbilden“ ans Herz legen. Arbeitsrechtliche Grundlagen sind fester Bestandteil dieser beiden Weiterbildungen für Betriebsrat und Ausbilder – und dabei spielt natürlich auch das Arbeitszeugnis eine Rolle. Sollten Sie Fragen zu konkreten Situationen aus Ihrer eigenen Berufspraxis haben, können Sie diese außerdem gern in Rücksprache mit unseren Dozenten als Fallbeispiele ins Seminar einbringen.
[1] Siehe https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/9-azr-584-13/